Spotify macht mich arm. Ich liebe es!

Letzte Woche musste ich in einem Interview die Frage beantworten, ob „ich auf Spotify sei“. Meine Antwort („Nein“) führte zu einer kurzen Diskussion darüber, warum ich da nicht mitmache – es flogen Satzfetzen durch den Raum wie „verdammte Streamingmafia“, „kann man aber doch als Werbung sehen“, „Musik ist nichts mehr wert“ und so weiter und so fort. Die beiden jungen Männer, die mich befragten, waren im Gegensatz zu mir ganz eindeutig der Meinung, dass Spotify etwas gutes sei. Seitdem denke ich drüber nach: Bin ich gegen Spotify?

Ich nehme die Antwort, die ich für mich selbst gefunden habe, vorweg: Als Nutzer liebe ich Streaming. Als Musiker hasse ich es. Spotify und ähnliche Dienste sind für den Tonträgerverkauf eine Katastrophe. Die klassische Art, Musik zu hören, hat fast ausgedient, auch wenn es angeblich sogar noch Menschen gibt, die CDs und – unfassbar – Schallplatten zuhause haben. Auch ich gehöre dazu. Wir sind Dinosaurier in dieser Hinsicht, unsere steinzeitliche Art des Musikhörens wird aber in ein paar Jahren ausgedient haben.

Warum?

  • Weil Streaming so bequem ist. Keine CDs im Wohnzimmer abstauben oder beim Umzug schleppen müssen, Bandsalat in Cassetten, das kennt man heute zum Glück gar nicht mehr. Musikstreaming ist bequem und (solange die Flatrate es hergibt) überall verfügbar. Dir gehört ein riesiges Archiv voller Audiodateien, deine Lieblingskünstler hast Du immer in der Hosentasche.
  • Weil Streaming so billig ist. Neun Euro neunundneunzig. Seriously? Für die Kohle gibts bei mir im Shop ein Album mit 10 Songs, das ist alles. Kein unerschöpflicher Fundus der Musikgeschichte, sondern nur ein einziges Album. Du brauchst fürs Streaming nicht mal Hardware zu kaufen, weil das Dein Handy seit 10 Jahren kann. Vielleicht ist es ja so, dass meine Zuhörer (besonders die ganz jungen) keine CDs kaufen, weil sie einfach kein Gerät haben, um sie abzuspielen?
  • Weil Streaming so einfach ist. Wie schon gesagt, es funktioniert mit Hardware, die heute jedes Kind bedienen kann. Die Haushalte sind voll von Tablets, Notebooks und Handys, Internetzugängen im 3-stelligen Mbit – Bereich und Software, die selbst meine Oma innerhalb von Minuten durchschauen würde.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass Musikstreaming für den Konsumenten eine ganz großartige Sache ist. Billig, bequem und besonders für die „digital natives“ intuitiv nutzbar. Völlig zu recht ist Streaming (auch im Videobereich) das beliebteste Medienverteilsystem an den Orten, die mit Breitbandzugängen zum Netz versorgt sind.

Two sides to every story

Auf der anderen Seite des Zauns ist das Geschrei allerdings groß. Die Taylor Swifts, Adeles und Sven Regeners heulen lautstark „Ausbeutung!“ und „Ohne mich!“. Wir Musiker sind angeschissen von Spotify, weil sich Streaming nämlich nicht für die Künstler interessiert. Spotify ist ein Verteilsystem für Musik, hier geht es ausschließlich um den Nutzer, nicht um die Musik. Der durchschnittliche Musiknutzer 2016 ist in Musikerkreisen ja bekannt, denke ich: zwischen 13 und 30, keine Kohle, kein CD-Player, Singlekäufer, kein Albumkäufer. Schon klar, dass Spotify bei so viel Kundenorientiertheit den Preis am Nutzer ausrichten muss.

Jetzt zurück zum Jammern: Einer der erfolgreichsten Songs 2013 war „Get Lucky“ von Daft Punk, er wurde auf Spotify ca. 1,5 Millionen mal gestreamt. Die Band erhielt dafür (wenn man den Quellen im Netz glauben darf) gerade einmal 26.000 Dollar. Hier fragt sich der Musiker in mir schon: Gehts noch? Das fühlt sich für mich nicht anders an als illegale Downloads, für die überhaupt nichts bezahlt wird. Selbst mit einem Welthit lässt sich über die Streaming – Einnahmen heutzutage keine Villa mehr finanzieren, nicht mal eine ganz kleine. Ich gehe davon aus, dass  Daft Punk trotzdem nicht verhungern müssen, aber es zeigt sich hier, dass die Vorstellung davon, was Musik mir einbringen sollte, und das, was beim Streaming für Musik bezahlt wird, weit auseinander liegen.

Side A

Ich möchte hier zwei Bereiche trennen. Es gibt 1% Musiker, die dicke im Geschäft sind und auch eine Menge Geld verdienen. Für diese ist Spotify keine Gefahr, weil sie (wie Adele neulich) einfach ihre Mucke aus dem Streaming – Katalog nehmen und dann trotzdem 100.000 Alben in der Stunde verkaufen. Auch die vielgepriesene „Werbung“ durch Streaming bei YouTube und Spotify haben die Madonnas, Britneys und Foo Fighters nicht nötig, weil allein die Ankündigung *nicht* zu streamen dazu führt, dass sie in allen Medien zitiert werden. Wenns mal läuft, dann läuft es eben.

Was ist mit den anderen 99%? Die independent Artists, die am Existenzminimum oder knapp darüber und oft genug darunter Songs schreiben, sie eigenfinanziert aufnehmen und von ihrem nicht vorhandenen Geld Produktionen bezahlen? Die Leute, die eine verkaufte CD wirklich zu schätzen wissen, weil die Einnahmen daraus direkt ins Abendessen investiert werden können? Songwriter, die ganzjährig touren und sich die Seele aus dem Leib singen für 20 Zuhörer in einem kleinen Club? Was haben die von Spotify?

Side B

Gar nichts. Absolut gar nichts haben diese Musiker von Spotify, denn wenn Du tausend Fans hast und jeder einmal am Tag ein Lied von Dir auf Spotify streamt, dann bekommst Du vor Steuern ca. 1600 Dollar. Wahrscheinlicher ist aber, dass 4 Leute alle 13 Tage mal ein Lied von Dir streamen, weil es ja noch so viel andere Musik auf Spotify gibt.

Angeblich soll es ja günstig für einen Musiker sein, wenn er auf Streaming – Plattformen kostenloses Material als „Promo“ zur Verfügung stellt. Ich kann keine positive Wirkung feststellen. Eines meiner Alben ist seit Jahren kostenlos im Shop verfügbar und wird pro Woche ca. 15 mal heruntergeladen. Von Leuten, die über (kostenlose) YouTube – Videos und Soundcloud – Songs aufmerksam geworden sind. Nochmal: Die Zuhörer hören mich kostenlos auf YouTube und lassen sich dadurch inspirieren, ein kostenloses Album im Shop runterzuladen. Es hat sich auch schon mal einer darüber beschwert, dass der für den kostenlosen Download seine eMail – Adresse angeben musste. Meine Fresse, das ist also sie Kundschaft, die man über Gratis – Häppchen anlockt? Danke herzlichst.

Hier sind wir beim eigentlichen Thema: Womit genau verdient der 99% -Musiker heute sein Geld? Mit Gagen & Honoraren, CD-Verkauf, Downloads und Merchandising. Nicht mit Streaming. Die Menschen, die bei mir Geld für CDs und Downloads ausgeben oder Eintritt für Konzerte bezahlen, sind Menschen, die ich im echten Leben mit meiner Musik berührt habe. Die ein Erlebnis mit einem Song verbinden und die aus persönlicher Verbundenheit heraus etwas von mir kaufen, auch wenn sie auf Spotify tausend Künstler meiner Stilrichtung für 10 Euro im Monat hören können.

Die Spucke des Künstlers

Ich gestehe: Ich bin kein T-Shirt – Verkäufer. Ich bin aber auch kein Musikverschenker, jedenfalls nicht im großen Stil. Spotify macht für mich absolut keinen Sinn, denn:

  • Meine Musik kennen absolut gesehen so wenige Menschen, dass ein Tropfen Pilger im Spotify-Meer einfach untergehen würde, der homöopathische Mischgedanke liegt mir fern. Ich sehe keine Werbewirkung. Oder keinen Grund, als Hörer für etwas zu bezahlen, was ich gerade eben kostenlos vor mir liegen habe.
  • Meine Musik hat mich einen riesen Haufen Geld und Zeit gekostet. Wenn sie kostenlos (und nichts anderes ist es) auf Streamingdiensten verfügbar wäre, nähme ich jedem potentiellen Käufer einen der wenigen verbliebenen Anreize, ein physisches Album zu erwerben, weil er/sie die Musik ja auch direkt anhören könnte.
  • Meine Musik verkaufe ich am liebsten mit einem Händedruck und einem „Dankeschön“. Der riesige Pool von Tönen, der das Internet ist, erzeugt für mich eine unangemessene Distanz zwischen Musiker und Zuhörer. Das Album, das bei iTunes als Download erworben habe, ist irgendwie einfach nichts wert. Ich kann nicht einmal die nervende Cellophanverpackung abreißen. Ich habe keine Autogramme auf meinen Downloads. Ich möchte gerne Musik an Leute verkaufen, die es zu schätzen wissen, dass an der Rückseite der Briefmarke auf dem Luftpolsterumschlag die Spucke des Künstlers höchstselbst klebt.

Bewusst entscheiden

Ich werde meine Musik also vorerst nicht auf Streamingseiten anbieten. Im Moment gibt es noch genug Menschen, die für Tonträger bei Konzerten und für Downloads im Onlineshop hartes Geld ausgeben, sich also ganz bewusst FÜR meine Musik entscheiden. Mir ist aber auch bewusst, dass in absehbarer Zeit diese Form des Medienkonsums aussterben wird. Ein paar Spinner wird es immer geben, die in ihrem Wohnzimmer ein Grammophon stehen haben und damit sogar Platten hören, die Welt dreht sich aber weiter und die Zukunft des elektrischen Musikhörens ist das Streaming, alles andere wird aussterben. Ich bin aber gleichzeitig völlig entspannt, was das Musikhören in der „echten Welt“ angeht: Das Erlebnis, einen Song live zu hören und sich von ihm mitnehmen zu lassen, wird sich nicht durch Live-Videos auf YouTube ersetzen lassen, jedenfalls nicht für mich. Solange es Konzerte gibt, bei denen geile Musik gespielt wird, gibt es auch Leute, die aus Begeisterung den Künstlern Geld geben, um sie zu unterstützen. Egal, ob für CDs, T-Shirts oder Downloadgutscheine.

Insofern macht Spotify gar nicht mich und andere kleine Künstler ärmer, sondern den Musikhörer reicher und das, ohne mir etwas wegzunehmen. Streaming ist nicht mehr die Zukunft, sondern bereits die Gegenwart – genau wie die emotionale Verbindung zwischen Musiker und Fan die Grundlage für das ganze Geschäft immer war, ist und auch bleiben wird.

Und jetzt kauft mein aktuelles Album! Die Zeit, die ich in diesen Artikel investiert habe, muss schließlich irgendjemand bezahlen.

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